Kein Rückbau von Spielflächen!

Kein Rückbau von Spielflächen!
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Wo sollen Kinder spielen? Die meistgenannte Antwort würde voraussichtlich lauten: Auf Spielplätzen. Doch was tun, wenn es immer weniger Flächen zum Spielen gibt? Zu diesem Thema führte das internationale Fachmagazin Playground@Landscape ein Interview mit Claudia Neumann (Deutsches Kinderhilfswerk) und Dr. Klaus-Peter Timm-Arnold (Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen).

Playground@Landscape:  Der Rückbau von Spielflächen wird vielerorts vorangetrieben. Was ist nochmal zusammenfassend  in Ihren Augen der Hauptgrund für solche Maßnahmen?

Claudia Neumann (Deutsches Kinderhilfswerk): Es sind der hohe Sanierungsstau, verursacht durch einen generell sehr hohen Investitionsstau in den Kommunen; der demographische Wandel, weshalb nun wohl ein Überangebot an Spielplätzen bestünde; der Druck zur Nachverdichtung durch den Mangel an Wohnraum und zum Teil auch der Verwertungsdruck, Spielflächen in besonders attraktiven Lagen – nach vorheriger B-Plan-Änderung versteht sich – möglichst gewinnbringend als Bauland zu veräußern.

P@L: Glauben Sie denn, dass es wirklich „zu viele“ Spielflächen in den Städten und Gemeinden gibt? Oder stehen doch Kostengründe oder noch ganz andere Interessen im Vordergrund?

Dr. Klaus-Peter Timm-Arnold (Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen):

Ein ausgeglichener Haushalt ist ein verpflichtendes Normziel. Auf das Budget greifen aber viele Akteure zu. Wir nennen das „Allmendeproblem“. Allen Interessen wird man da nicht gerecht werden können. Die angespannte Haushaltslage zwingt daher zu Überlegungen. Dabei ist die Situation nicht in jeder Kommune gleich. Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, dass genügend Spielflächen für Kinder vorgehalten werden. Das wird auch von den Kommunen so gesehen.  In einigen Kommunen ist es jedoch der Fall, dass Spielflächen an Orten vorhanden sind, an denen sie nicht mehr benötigt werden. Zum Beispiel in Wohnsiedlungen, in denen Kinder schon älter geworden sind und die Spielflächen nicht mehr nutzen. Um wirtschaftlich zu handeln ist es demnach wichtig, den Bestand an den Bedarf anzupassen – also keine notwendigen Leistungen (also benötigte Spielplätze) kürzen, sondern nur überflüssige. Insgesamt ist das Thema „Abbau von Spielplätzen“ nicht Sparziel Nummer 1. Das zeigt sich daran, dass von rund 5.000 Maßnahmen aus dem sogenannten „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ in NRW nur 24 Einsparungen bei Spielplätzen beinhalten.

Ist denn jedes Spielareal grundsätzlich erhaltenswert? Oder gibt es durchaus auch Fälle, wo Sie der Aufgabe einer Spielfläche zustimmen würden?

Claudia Neumann Grundsätzlich plädieren wir dafür, jede bestehende Spielfläche zu erhalten. Denn einmal aufgegebene Flächen erhält man so schnell nicht mehr zurück, Bebauungen bleiben für viele Jahrzehnte bestehen. Aktuell nicht benötigte Flächen sollte man also maximal stilllegen und zum Beispiel als Grünfläche weiter betreiben, ohne einen aufwändig zu wartenden Gerätepark erhalten zu müssen. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen eine Aufgabe der Fläche u.U. doch Sinn macht. Zum Beispiel, wenn Flächen jahrzehntlang – sozusagen als Flächenbevorratung – im Bebauungsplan als Spielplatz eingetragen sind, jedoch nie als Spielfläche aktiviert wurden und dies auch in absehbarer Zukunft nicht erforderlich sein wird. Oder wenn eine Fläche wirklich nicht als Spielfläche taugt, weil sie z.B. durch starke Barrieren wie Verkehrswege eh gar nicht erreichbar ist oder anderweitig unattraktiv ist, z.B. eine stark beschattete Restfläche neben dem Stellplatz auf dem Hof.

P@L: Glauben Sie, dass es trotz der vielerorts angespannten Haushaltslage in der Kommunen möglich ist, in ausreichender Anzahl attraktive und nutzbare Spielflächen zur Verfügung zu stellen?

Klaus-Peter Timm-Arnold: Es gilt: Qualität statt Quantität – die Kommunen bauen nicht benötigte Spielflächen ab, um sich dafür auf die stark genutzten zu konzentrieren. Dabei nehmen sie sogar in Kauf, je Spielplatz mehr auszugeben – insgesamt wird aber eingespart, da weniger Spielplätze vorhanden sind.

Man muss tatsächlich differenzieren. Ein Beispiel: In kleinen Gemeinden in der Eifel, in denen 80 Prozent der Haushalte Gärten hinter dem Haus haben, in denen Kinder spielen können, ist die Situation eine andere als in verdichteten urbanen Situationen. Letztlich muss der Rat entscheiden, was für die Stadtgesellschaft wichtig ist.

P@L: Wie sieht in Ihren Augen, denn eine optimale Versorgung mit Spielplätzen in den Städten und Gemeinden aus? Viele kleine Spielareale in unmittelbarer Nähe von Wohnsiedlungen oder doch eher größere zentrale Grünanlagen mit größeren Spielarealen? Oder vielleicht eine ganz andere Infrastruktur?

Claudia Neumann: Unser Ideal ist die bespielbare Stadt. Dazu zählt ein Netz aus verschieden großen, thematisch abwechslungsreichen Spielflächen. Das sind kleine wohnortnahe Spielpunkte ebenso wie größere Spielareale mit Bedeutung für das ganze Quartier. Manche laden zum ausgiebigen Heurumtoben und zu Abenteuern ein, andere sind naturnah gestaltet und bieten vielleicht eher ruhige Spielangebote. Dabei geht es nicht nur um ausreichend Quantitäten, sondern die Spielraumqualitäten sind von entscheidender Bedeutung. Es geht als auch um Anregungsvielfalt und Gestaltbarkeit der Räume. Aber es sind eben nicht nur die klassischen öffentlichen oder privaten Spielplätze, sondern auch der Gehweg oder die Spielstraße vor dem Haus, das Abstandsgrün und der Wohnhof, die Fußgängerzone und der Marktplatz – spielende Kinder sollten überall gern gesehen sein. Und natürlich sind all diese Spielorte durch ein Netz aus Fuß- und Radwegen sowie Grünanlagen miteinander verbunden.

Klaus-Peter Timm-Arnold: Eine Ideallösung gibt es da meiner Meinung nach nicht. Die gpaNRW hat da keinen Benchmark.  Wichtig ist, dass die Kommunen bei der Planung die langfristige Wirtschaftlichkeit mit dem Bedarf kombinieren. Beispiel: Bei der Unterhaltung der Spielplätze kann es wirtschaftlicher sein, größere zentrale Spielflächen vorzuhalten, da man nur wenige Spielflächen anfahren muss. Wenn diese jedoch zu weit weg sind von den Ballungsgebieten, in denen Kinder wohnen und wo der Bedarf vorhanden ist, ist es auch nicht ideal. Hier muss jede Kommune den Bedarf und die ideale Lösung für sich selbst entwickeln.

Eine ausreichende Anzahl von größeren Anlagen sollte vorgehalten werden. Bei Kleinflächen muss die Stadt aber flexibel sein. Wenn in einem Stadtquartier der Bedarf für Spielplätze sinkt, weil die dort wohnenden Kinder älter werden, sollte man den Spielplatz umgestalten bzw. umwandeln, z.B. in eine Skaterfläche und später vielleicht in eine Grünfläche. Es sollten Geräte angeschafft werden, die man leicht ab- und wieder aufbauen kann.

Und: Fragen Sie die Bürgerinnen und Bürger oder besser: beteiligen Sie sie! Sie sind die Experten vor Ort. So können die Wirkungen öffentlicher Leistungen verbessert werden.

P@L: Was muss sich in Ihren Augen grundlegend ändern, damit die Situation wieder besser wird? Ist es generell nur eine Frage der Planung oder müssen gänzlich neue Rahmenbedingungen geschaffen werden?

Claudia Neumann: Die Grundhaltung muss sich ändern! Welchen Stellenwert nehmen die Kinderrechte in der Kommune ein und welche Bedeutung wird dem Recht auf Spiel beigemessen? Sieht die Kommune die Bereitstellung und Schaffung von Spielräumen – trotz fehlender gesetzlicher Grundlagen – als ihre ureigene Aufgabe an und stellt entsprechend Personal und Budget bereit oder fallen solche Vorhaben ständig dem Rotstift des Stadtkämmerers zum Opfer?

P@L: Oft wird der Faktor „Demographischer Wandel“ in der Diskussion angebracht? Aber kann das ein Grund sein,  wirklich so viele Spielflächen für immer verschwinden zu lassen? Wäre es nicht besser, die Städte familienfreundlich zu gestalten, um durch eine passende Infrastruktur Familienplanungen zu fördern?

Claudia Neumann: Das Gegenteil müsste der Fall sein. Gerade in Zeiten des demographischen Wandels müsste doch wieder mehr dafür getan werden, dass sich Familien im Quartier ansiedeln. Das ist doch sonst ein Teufelskreis! Sicherlich hängt die Familienplanung heutzutage nicht nur von einem familienfreundlichen Wohnumfeld ab, aber wenn eine Standortentscheidung von Familien ansteht, dann schauen sie doch, wo ihre Kinder gesund aufwachsen können und ausreichend Freiraum vorfinden.

Klaus-Peter Timm-Arnold: Wie bereits gesagt: Es ist wichtig, die Anzahl und den Ort von Spielflächen dem Bedarf anzupassen.  Ich glaube nicht, dass zukünftig insgesamt weniger Spielflächen benötigt werden, zumal die Anzahl der Geburten wieder ansteigt. Viele Spielplätze sind in Wohnsiedlungen in den vergangenen Jahren stark genutzt worden, aktuell aber nicht mehr, da die Kinder älter geworden sind. Das Spielverhalten der Kinder hat sich u. a. durch den Ganztag an Schulen, alternative Freizeitgestaltung (Musik, Sport, Medien, Playstation etc.) geändert. Kinder spielen weniger draußen. Von daher haben Spielplätze der C-Kategorie eine weniger wichtige Funktion als früher. Gerade in älteren Neubaugebieten, wo mittlerweile kaum noch Kinder leben, sind diese obsolet. Diese Spielplätze können aufgegeben werden. Allein schon der Abbau der Geräte und die Umwandlung in eine extensiv gepflegte Grünfläche spart Kosten, weil der hohe Kontroll- und Pflegeaufwand entfällt.

Wichtiger werden hingegen Spielplätze der A-Kategorie oder Mehrgenerationenspielplätze. Es ist daher sinnvoll, C-Spielplätze aufzugeben und ein Teil der Einsparungen zu nutzen, um A-Spielplätze aufzuwerten (dies erhöht auch die Akzeptanz in der Politik und der Bevölkerung).

Es geht am Ende also um Standortqualität. Hier muss der Rat Prioritäten setzen. Aber die Konkurrenz der lokalen Interessen, die auszugleichen sind, ist groß.

P@L: Glauben Sie, dass es allein die Aufgabe der Kommunen ist, für ausreichend Spielareale in den Städten und Gemeinden zu sorgen? Können nicht beispielsweise private Betreiber einen Teil des Bedarfs auffangen?

Claudia Neumann: Sicherlich ist diese Aufgabe heutzutage nicht mehr allein von Kommunen zu bewältigen. Es gibt auch schon viele tolle Initiativen, sei es die Unterstützung durch Anwohner / innen in Form von Spielplatzpatenschaften, die sich vor Ort um den Zustand der Anlagen kümmern oder die Unterstützung privater Sponsoren wie bei der Fanta Spielplatz-Initiative. Auch die Wohnungswirtschaft ist hier klar stärker gefordert. Das bedeutet aber im Umkehrschluss keinesfalls, dass sich die Kommunen gänzlich aus der Verantwortung ziehen können.

Klaus-Peter Timm-Arnold: Spielplätze sind keine hoheitliche Aufgabe der Kommunen. Es gibt auch private Angebote an Spielflächen – seien es selbst angelegte Spielplätze in Wohnanlagen oder auch Indoor-Spielplätze oder Spiel-Parks wie der Ketteler Hof in Haltern am See. Ich halte es jedoch für wichtig, dass auch Kinder täglich öffentliche Spielplätze nutzen können, die sie zum Beispiel selbständig mit dem Fahrrad erreichen können und auch kein Eintrittsgeld bezahlen müssen.

Die Kommune kann mittels Satzung regeln, dass im Mehrgeschosswohnungsbau entsprechende Spielflächen durch den Bauherren/den Eigentümer zu errichten sind.

P@L: Viele Kommunen haben wenig Spielraum in der Finanzplanung. Gibt es denn andere Posten, an denen man zu Gunsten von Spielflächen sparen sollte?

Klaus-Peter Timm-Arnold: Es gibt viele Möglichkeiten einzusparen. Wenn aber ein Spielplatz nicht mehr benötigt wird, ist den Kommunen zu empfehlen, diesen Spielplatz abzubauen und in die Qualität von benötigten Spielplätzen zu investieren. Insgesamt wird dadurch eingespart, da weniger Spielplätze zu unterhalten oder zu renovieren sind und Flächen veräußert werden können.

Öffentliche Finanzmittel sind immer knapp. Es ist Aufgaben der Politik, Schwerpunkte in einer Stadt zu setzen. Dies sollte zum Leitbild der Kommune passen.

P@L: Es gibt durchaus Bürger, die meinen, Kindheit ist heute nun mal hauptsächlich durch Medienkonsum und häusliche Aktivitäten oder Indoor-Sport geprägt– und wildes Tollen über grüne Wiesen und auf Spielplätzen ist eher eine romantische Vorstellung früherer Tage, aber längst nicht mehr zeitgemäß. Früher oder später werden Spielplätze obsolet. Haben die recht oder nicht?

Claudia Neumann: Sie haben definitiv nicht Recht! Unser Studie „Raum für Kinderspiel“ hat deutlich aufgezeigt, dass Kinder den Medienkonsum nur als Kompensation für nicht vorhandene oder unattraktive, unsichere Spielmöglichkeiten im Freien ansehen. Dort, wo die Aktionsraumqualitäten gut sind, spielen sie wesentlich häufiger, länger und auch unbeaufsichtigt draußen als in benachteiligten Quartieren. Auch unsere Umfragen unter Kindern anlässlich des Weltspieltages zeigten, wie hoch der Stellenwert des Draußenspiels nach wie vor ist und dass z.B. der Ball das liebste Spielgerät ist.

P@L: Welche Rolle spielen Spielräume für Kinder und auch für Jugendliche, für die Lebens- und Aufenthaltsqualität in Innenstädten? Müssen nicht etwa neue Wohnflächen,  gut ausgebaute Straßen oder genügend Parkplätze insbesondere in der Stadt Vorrang haben?

Claudia Neumann: Eine Stadt ohne ausreichend Grün- und Freiflächen ist für alle Anwohner / innen keine lebenswerte, auf Dauer funktionsfähige Stadt. Gerade bei beengten Wohnverhältnissen sind solche Grünflächen im Freien in fußläufiger Entfernung von der Wohnung unabdingbar und können vieles kompensieren. Ohne solche Flächen zum Spielen und Bewegen ist jedoch insbesondere ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen nicht möglich, von den Folgen für das Stadtklima und die Biodiversität mal ganz abgesehen.

P@L: Haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf eigene städtische Spielräume? Oder sollte es Ihnen im Zweifelsfall zustehen?

Claudia Neumann: Laut UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder und auch Jugendliche ein Recht auf Spiel, Ruhe, Freizeit und Erholung. Deutschland hat diese Konvention vor 25 Jahren ratifiziert und damit haben Kinder in Deutschland im Prinzip auch ein Recht auf die entsprechenden Räume. Das Grundgesetz sichert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die körperliche Unversehrtheit zu – deshalb zählen ausreichend Spielmöglichkeiten für Kinder dazu, denn Spielen ist für sie lebensnotwendig und ihre natürliche Hauptbeschäftigung. Was die Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen angeht, besteht jedoch ein Mangel – es fehlt ein Spielplatzgesetz nach dem Vorarlberger Vorbild.

P@L: Innerstädtische Nachverdichtung geht immer zu Lasten von innerstädtischen Spielflächen. Ist hier nicht analog zum Natur- und Artenschutz ein gesetzlich vorgeschriebener Ausgleich erforderlich?

Claudia Neumann: Absolut, wir fordern schon seit Langem eine Ausgleichsverpflichtung beim Wegfall von Spielflächen. Da sind uns die Naturschützer weit voraus.

P@L: Welche Empfehlungen kann man in diesem Zusammenhang Kommunen im Umgang mit ihren Spielplätzen auf den Weg geben?

Klaus-Peter Timm-Arnold: Bedarfsanalysen durchführen, Lebenszykluskosten ermitteln, Bürger/Eltern/Kinder beteiligen und auch Patenschaften forcieren. Dies gehört in meinen Augen zu einer aktiven planerischen Stadtgestaltung.

Das Interview führte Thomas R. Müller (Playground@Landscape).

Das Interview basiert auf einer Podiumsdiskussion während des Seminars Bewegungsplan (www.bewegungsplan.org) in Fulda am 4. April 2017. Teilnehmer: Claudia Neumann (Deutsches Kinderhilfswerk), Dr. Klaus-Peter Timm-Arnold (Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen), Podiumsleitung und Tobias Thierjung (Playground + Landscape Verlag GmbH).

Dieser Artikel ist in der Fachzeitschrift Playground@Landscape, Ausgabe 05/2019 erschienen.